Der alltägliche Wahnsinn eines Vollzeitvaters

Der alltägliche Wahnsinn im Leben eines Vollzeitvaters

Vollzeitvater. Ein seltsames Wort. Habt ihr dieses Wort im eigenen Sprachgebrauch mal benutzt? Eher nicht. Kennt jemand von euch persönlich einen Vollzeitvater? Vermutlich die Wenigsten. Das Wort Vollzeitvater existiert auch nicht im Duden. Die Vollzeitmutter übrigens auch nicht. Vermutlich aufgrund der Tatsache, dass Vollzeit letztlich vor allem die tageszeitliche Ausprägung eines Beschäftigungsverhältnisses definiert und Vater… naja… ihr wisst schon, die Blumen und die Bienen und so weiter. Vollzeitvater.

Wieso eigentlich Vater, wo ist denn eigentlich die Mutter? Die hat doch mit dem Nachwuchs zuhause zu bleiben. Sagt die Gesellschaft, sagen die Freunde und Bekannten, sagt sogar die Familie, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand. Vollzeit. Vater. Nichts als Gegensätze und Widersprüche. Fast ein Oxymoron. Offensichtlich vemeidet man es heutzutage, das Vatersein mit einer jobähnlichen Beschäftigung gleichzusetzen. Aber warum eigentlich? Machen wir uns doch mal den Spaß und vergleichen den Alltag eines kinderlosen, aber glücklichen, Angestellten mit dem Alltag eines Vaters, der sich ganztags um Kleinkinder und den Haushalt (nicht der finanzielle, sondern der echte mit Küche, Wäsche, Putzen und so) kümmert.

Vater – 7:00 Uhr – Ein neuer Tag. Im Sommer. Also eigentlich. Nur nicht wenn man das Wetter im Juli in Deutschland  kennt. Die mickrige Sonne blinzelt vorsichtig durch die Wolken und die nahezu komplett mit braunen Schals verdunkelten Fenster des Schlafzimmers. Nur an den Seiten schiebt der Wind die Schals vorsichtig zur Seite und wieder zurück. Idylle, könnte man meinen. Die Augen noch geschlossen, der Geist noch komatös vom vorherigen Tag höre ich doch im Unterbewusstsein bereits das leise Wimmern einer wachen Einjährigen. Und dann das der zweiten. Während ich versuche noch einmal in den Schlaf zu flüchten, braust barfuß mit brachialer Wucht der Thronfolger zum Schlafgemach der Eltern und vollendet mit einem fulminanten Satz die Landung auf meiner Hüfte. Der Tag hat begonnen. Und auch der Schmerz.

Kinderloser Angestellter – 7:00 Uhr – Ich drehe mich noch mal um. Anschließend 4x Snooze auf dem Handy. Schnarch.

Vater – 9:30 Uhr – Erstes Mal umgezogen. Nicht die Kinder, sondern mich. Zwei Stunden Dauerrotieren hinter mich gebracht. Klamotten raussuchen. Kinder anziehen, auch wenn sie dabei wie immer schlechte Laune an den Tag legen. Die zwanzig Tritte in den Bauch nehme ich vor dem Wickeltisch stillschweigend zur Kenntnis. Noch. Dann die Raubtierfütterung. Der Haferbrei wird regelrecht inhaliert. Von fast allen. Nur mein Appetit hält sich in Grenzen. Zweimal erwärme ich die letzten Kaffeereste vom Vortag – bevor ich sie doch unberührt in der Mikrowelle verdunsten lasse. Dann halt ohne Doping.

Der Haferbrei bringt bei allen Kindern den Darm in Schwung. Zum optimalsten aller Zeitpunkte, kurz nachdem alle Hosen, Jacken, Schuhe, Mützen und andere Textilien gebrauchsfertig am Kind befestigt sind. Nicht nur aus Hackepeter wird K… später. Und auch nicht immer erst später, sondern auch gern mal früher. Also wieder ausgepellt, abgewischt, eingecremt, zugeklebt, neu verpackt und ab zur Tagesbetreuung. Wieder mal zu spät. Obwohl Alexa 15 Mal die Uhrzeit durch die Wohnung zurückgebrüllt hat. Kurze Zeit später stehe ich wieder im Schlachtfeld aus Windelmüll und Futterresten. Der Schweiß läuft langsam den Rücken herunter und ich atme aus – zum ersten Mal heute.

Kinderloser Angestellter – 9:30 Uhr – Rasieren, duschen, auf dem Weg zur S-Bahn die erste Genuss-Kippe, Earpods rein und ne gute halbe Stunde auf dem iPhone rumdaddeln. Heute mal ein kleines Game. Oder drei. Danach einen Caramel Macciato und das obligatorische Franzbrötchen besorgt, bevor ich pünktlich ins Büro spaziere. Und jetzt voll energized meiner Kreativität und Arbeitslust freien Lauf lassen.

Vater – 12:00 Uhr – Die Kasse beim Discounter ist lang. Ich sehe es im Vorbeigehen, während ich tonnenweise Joghurts (Joghurte, Joghurtse… wie auch immer) in den Einkaufswagen hieve. Außerdem darin bereits befindlich: Gefühlt drei Hektoliter frische Milch, mehrere Bio-Bananen-Stauden, Bio-Waffeln (WaffeLn!!), Bio-Wurst, Bio-Käse. Bio-nade gibt das Sortiment nicht her. Eh kein Platz mehr im Wagen. Ganz oben auf den Fressalien balanciere ich ein neues Baby-Planschbecken, nun das dritte im Haushalt, und vier neue Strampler aus Baumwolle, nein, Bio-Baumwolle. Was sein muss, muss sein. Mühsam kämpfe ich mich mit dem Fressalien-Panzer zur Kasse. Die Minuten vergehen, bis ich alles auf dem weglaufenden Band verstaut habe. Früher waren die Bänder aber länger, denke ich mir. Die Kopfschüttler hinter mir beäugen mich kritisch, wie ich Milch auf Milch auf Milch stapele. Die EC-Karte glüht, zum dritten Mal heute Vormittag nach Windeltruck (gibt es wirklich und nur zu empfehlen, für alle, die Windeln en masse zum kleinen Preis kaufen möchten) und Drogerie. Kinder kosten Nerven, und Geld. Verdammt viel Geld sogar.

Der Kofferraum platzt aus allen Nähten. Während ich vom Parkplatz rolle, brüllt mich das Handy schon mit dem ersten Reminder für heute an. Kind abholen. Doch zuvor erst einmal die neuesten Erwerbungen ins Domizil verfrachten. Die Bandscheiben ächzen, die Oberschenkel brennen, der Puls jagt. Geschafft. Bis übermorgen.

Angestellter – 12:00 Uhr – Mails checken, zwei spontane Meetings. Den Kaffeevollautomaten gequält, eine nette Raucherpause mit Klatsch und Analyse des gestrigen Champions-League-Abends. Dann überlegt, worauf ich Hunger habe. Ach, heute mal Pizza, ganz langweilig. Vielleicht kann ich gleich sogar noch für zehn Minuten die Augen zu machen in der Lounge. Und danach ab an den Kickertisch.

Vater – 18:00 Uhr – Kinder geholt. Keines vergessen. Alle freuten sich riesig mich zu sehen. Anders ist das kurzatmige Kreischen und wilde Schlagen nicht zu erklären. Heute keine Schoko-Donuts zum Kaffee serviert, die Atmosphäre am Tisch gefriert. Drei Augenpaare durchbohren mich bis ins Mark – bis ich glücklicherweise noch ein paar Eierkuchen aus dem Nichts auf die Teller zaubere. Dass sich neben den fingerdick mit Apfelmus bestrichenen Teigfladen Gabel und Löffel befinden, findet im Futter-Rausch keine Beachtung. Hände, Teig, Mus und Gesicht werden zu einer homogenen Masse, aus der vereinzelt eine nach Luft und Nachschub suchende Zunge heraussticht. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Nach einer ersten oberflächlichen Schmutzentfernung und einer erneuten Unterbodenwäsche geht es trotz bevorstehendem akuten Fresskoma ohne Pause sofort auf den Spielplatz. Ob ich will oder nicht. Nach einer blutigen Nase, Schürfwunden an Knie und Ellenbogen und einem Plastik-Teller mit feinstem Sand als krönendem Dessert schiebt mich der Autopilot des Kinderwagens zurück nach Hause. Das anschließende Abendessen, Bettfertigmachen und good old Sandmännchen erlebe ich nur noch in der dritten Dimension.

Kinderloser Angestellter – 18:00 Uhr – Heute mal richtig produktiv gewesen. Und kreativ. Bin stolz auf mich. Der Chef ist es auch. Das Feierabend-Pils habe ich mir absolut verdient. Füße hoch. Abendprogramm.

Vater – 23:00 Uhr – Vierzehn Mal den Befehl des unmittelbaren Erscheinens der schreienden, wimmernden, hustenden, quengelnden und schnarchenden Ruhestörer ausgeführt, vierzehn Mal stoppt der Festplattenreceiver die abendliche Komödien-Unterhaltung auf der von Kinderhand zerkratzten HD-Glotze. Jeder Gag verpufft in den Qualen der Erschöpfung. Mein Körper schreit nach Erlösung, der Geist hat seit zwei Stunden die Arbeit eingestellt. Ich krieche auf allen Vieren ins Bett. Die Abendsonne verschwindet mit letzten Strahlen endgültig vom Horizont. Nachtschicht, aber kein Schichtwechsel. Vollzeitvater halt.

Kinderloser Angestellter – 23:00 Uhr – Kino, Burger, ein paar Hefe und ne Cohiba. Ganz normaler Abend halt. Gar nicht richtig müde, also noch ne ganze Staffel Sheldon Cooper am Stück geschaut. Freue mich auf morgen. Zum Glück habe ich da auch noch keine Kinder.

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Veröffentlicht von

rabaukenpapa

Stolzer Dreifach-Papa und CFO (Chief Family Officer), weil gesegnet mit Thronfolger und Zwillings-Prinzessinnen. Vor dem Papa-Job ein Jahrzehnt in der Kommunikation und Werbung tätig, dabei erinnerte Vieles oft an Kindergarten, den ich jetzt 24/7 real zuhause habe.

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